Nun doch die Fuji X-H1
Als im März die mit 5fachem Stabilisator ausgestattete X-H1 in den Handel kam, war meine Aufregung im nu weg, als ich sie damals zum ersten Mal in Händen hielt. Im Vergleich zur X-Pro2 richtig protzig, klobig, schwer und so unhandlich wie ein Backstein in der Hand. Der HWE (Habenwolleneffekt) war ruck-zuck dahin. Zuvor war ja schon die kleine Stiefschwester X-T20 bei mir eingezogen, also bot mir die Neue keinen nennenswerten Mehrwert.
Somit lag mein neuer HWE auf der Mittelformatkamera Fuji GFX 50R, welche ich seit Monaten ersehnte, jeden Artikel recherchierte und Vorab-Rezensionen förmlich inhalierte. Endlich – letzte Woche konnte ich sie in meine Hände nehmen und stand recht schnell hilflos im Geschäft herum. Die Erwartung war groß. Das Aufwachen ebenso. Da hielt ich ihn wieder, den Backstein, nur ordentlich größer, dicker, langsamer, unhandlicher und noch teurer. Wäre ich nicht ein gestandener Mann, so hätte man mich fast aus dem Stand repetieren können.
Da sah ich zierliche Sonys in der Auslage und verglich sie mit der dicken Herta – ähm X-H1. Ich schaute die Verkäuferin an, sie mich, ein anderer uns beide. Ne, Sony kommt mir nicht mehr ins Haus, aber was tun? Der Verkäufer war schlau und bot mir einen Kaffee an, gab mir die X-H1 in die Hand und wies mir einen stillen, im Eck befindlichen, Tisch zu. Dort waren wir nun, ich und die dicke Herta. Im Zwiegespräch versunken, entstand ein Hadern zwischen meinen mehreren Ichs und X-Herta1.
Soll ich doch zur 50R greifen? Oder gar keine? Was spricht für und gegen die eine und die andere Kamera? Brauch ich was? Da war doch das Problem mit verwackelten Bildern, die sich bei mir justament dann einschleichen, wenn es wichtig oder rar wird, also ein unwiederbringliches Motiv betraf. Ist mir die X-T20 nicht auch schon zu fummelig? Kann ich nicht doch noch bis ins Frühjahr warten und schauen was da noch kommen mag?
Ich trank den Kaffee aus, nahm die Kamera und wollte sie dem Verkäufer bereits zurück in die Hand geben, da hat er mir auf nüchternen Magen 20% Rabatt angeboten. Zusätzlich zur Cashbackaktion. Das ist schon fast wie … ähm „Schönsaufen“! Dazu noch ein nahezu geschenkter Batteriegriff mit 2 „s“Akkus dazu. Was soll ich sagen? So schiach kann de Herta net sein, dass ich sie da von der Bettkante stoße ) Also ab mit ihr ins neue Heim. Der Jubel der Erstfrau hielt sich in Grenzen, aber sie muss sich ja auch nicht mit Herta zusammenraufen, das ist mein Job.
Übers Wochenende hab ich mal das dicke mitgelieferte (!) in Fujideutsch geschriebene Handbuch studiert. Trotz vieler Updates meiner beiden Fujis kann die X-H1 dann doch noch einige Sachen mehr. Da gibt es den Filmlook Eterna, der mir wahnsinnig gut gefällt, der kleine beiliegende Blitzscheißer ist unbrauchbar und dennoch genial. Er kann nichts, aber das kann er gut! Spaß beiseite: Zum Aufhellen naheliegender kleiner Dinge ist er sensationell, weil unauffällig. Videograf bin ich nicht, drum interessieren mich diese Funktionen nicht die Bohne. Schade, dass es da keine X-Kameras gibt, ohne diesen Schmafu.
Zuletzt noch der 5fach Stabilisator. Als erstes Objektiv gleich das nicht stabilisierte 90mm f/2.0 rauf und mit einer 15tel aus der Hand rattenscharfe Bilder geschossen. WoW. Also wirklich WooW! DAS nenne ich Mehrwert. Die stundenlange Herumspielerei hat aber 4 Akkus gebraucht. Und das Einstellen des Wifi ist wie immer kacke. Da sind die Eurofighter ja noch zuverlässiger. Und mit dem Haus-WLan hat es noch gar nicht funktioniert. Zuletzt noch diese hysterische Geodatenwarnung – die ist ja schlimmer als eine dauerrote Ampel!
Sollten hier mal Leute von Fuji mitlesen…. BITTE macht da was, egal was, es kann nur besser werden.
Nochmals zurück zur dicken Herti und meinem bisherigen Fazit: Egal welche Kamera ich mir von Fuji noch kaufe, es kann nur eine X-Pro3 mit Klappdisplay und Bildstabilisator werden, und wenn es nur ein verbauter 3fach Stabilisator ist, welcher mit bereits stabilisierten Objektiven zusammen arbeitet. Was anderes kommt mir nicht mehr ins Haus. Die X-T3 kann da noch so hoch gelobt sein (das ISO-Rauschen ist schlechter als vom Vorgängermodell) und die 2 Millionen Pixel mehr machen das Kraut auch nicht fett. Aber – sie liegt gut in der Hand und Fokus als auch Gesichtserkennung arbeiten verlässlich. Bleibt bei diesem Konzept, aber bitte auch im Design der Pro’s oder Rangefinders.
Man hat Freunde und man hat Bekannte. Immerhin sind wir schon per Du und bei liebkosendem Xerti statt Herta! Also – die Xerti ist eben nur eine „schön gesoffene“ Bekannte, dufte Freunde werden wir nicht werden. Sie wird aber zuverlässig ihren Dienst erfüllen, da bin ich mir sicher.
Vorteile: erstklassiger Stabilisator, funktionales Klappdisplay, genialer Sound, Verarbeitung und Gehäuse lassen fast keine Wünsche offen. Ab dem 56mm f/1.2 gut ausbalanciert, wie aus einem Guss mit dem 90mm f/2.0. Traumhaft in Kombination mit dem 100-400mm welches ebenso bei mir eingezogen ist, aber das ist eine andere Geschichte. Der Augensensor ist hier besser als bei der X-T20 wo man mit dem Finger ja nur in die Nähe kommen braucht und sich schon das Display deaktiviert.
Nachteile: Backstein, klumpig, Gesichtserkennung eher mau, Wifi katastrophal, mit Batteriegriff alles, nur nicht zierlich. Da kann man gleich bei einer 5DIII bleiben. Ein in den Alpen Turkmenistans geschriebenes Funktionsmenü ist wahrscheinlich übersichtlicher und verständlicher als die Fujimenüs. Die Japaner müssen echt alle um die Ecken denken, ich werde aus deren Menüstruktur nicht schlau. Die Augenmuschel muss exakt gerade anliegen, sobald man schräg ist, wird es unscharf und das Sichtbild verringert sich. Der Augensensor ist hier zwar schon besser als bei der X-T20, dennoch glaubt der Sensor, dass der Finger ein Auge ist.
Vorschlag: diese mitgelieferten Gurte verwendet niemand, warum geht Fuji da nicht mit der Zeit? Ich würde es begrüßen, wenn die Displays von Haus aus schon mit Folien ausgestattet wären. Ein aufladbares Powerpack als Batteriegriff – also ein schlankes Teil für bescheidene und praktische Leute wie mich. Protzen dürfen andere (das hab ich auch schon hinter mir). Das Klappdisplay erwischt man nicht gerade gut, ein kleines Fingernupsi/Ausbuchtung/Erhebung – oder was auch immer – könnte hier in der Praxis hilfreich sein. Was das Schulterdisplay betrifft, mag ich noch nichts dazu sagen, keine Ahnung, ob es mich unterstützen wird oder vernachlässigt ein Dasein fristet. In der Studiofotografie hab ich es bei Canon geschätzt, bei Fuji ist es mir noch nicht abgegangen. Mal sehen.
Ich gebe zu, dass ich in den letzten Wochen schon wieder Ausschau bei Fremdsystemen gehalten habe. Da hat sich ja so einiges getan. Nikon Z, Canon R, Sony 9, Rico etc, etc. Fuji betreibt eine echt eigenartige Produktphilosophie. Eine Spur zu viel Peitsche, dafür zu wenig Zuckerbrot. Wo sie einen mit Updates verwöhnen, lassen sie mit der X-H1 deutlich ihre Klientel im Stich. Wer zu Fuji wechselt schätzt das Unauffällige, verpackt in grandioser Technik, Funktionalität und Design. Wo sie mit der Pro2 und X-T20 echte Hits gelandet haben, fangen sie schon an wie Canon und Nikon. Nur gerade das Notwendigste in ein neues Modell verbauen, damit immer Wünsche offen bleiben. Die X-H1 war einfach eine Frühgeburt und ob die Kunden sich noch für eine X-H2 interessieren werden, die wahrscheinlich nur einen neuen Prozessor und ein paar Megapixel mehr abbekommen wird? Da pfeif ich drauf und mit „Schönsaufen“ geht da dann auch nichts mehr.
Sollten sie aber eine stabilisierte X-Pro3 mit Klappdisplay, mit effizienten Akkus, effektivem Kühlsystem, funktionierendem Augensensor, schneller Gesichtserkennung und einem Sensorschutz in den Handel bringen, können sie verlangen was sie wollen! Vorausgesetzt natürlich ein funktionierendes Wifi, logisches Menü und eine Sprache die man kennt. Man sagt z.B. Bild zum Büdl und nicht Rahmen.