Reisestativ – mein Test
Nachdem ich heuer ja so einiges am Plan habe und meine bestehenden Stative eher nur mit Scheibtruhen (in meinem Fall eher ein umgebauter Kinderwagen) befördert werden können, war ich nun auf der Suche nach einem geeigneten Reisestativ. Die Anforderungen daran sind erwartungsgemäß: Leicht, kleines Packmaß, stabiler und schwingungsfreier Stand, zumindest brusthoch und mit Klickverschlüssen (Hebel-Arretierung der Beine). Meine 1. Wahl fiel dabei auf das günstige Zomei Q555. Es hat besagte Klickverschlüsse und ausgefahren ist es 160cm hoch. Was ich aber unterschätzt hatte sind die 45cm Packmaß und dadurch klobige an der Tasche hängende 1,4kg. In Summe ein gutes und preisgünstiges Stativ, aber nicht ultimativ für das geeignet was ich damit vor habe. Immerhin wird es mich nun immer wieder den ganzen Tag begleiten und nur im Bedarfsfall benötigt werden. Wenn man etwas permanent braucht (er)trägt man es ja lieber aber den ganzen Tag schleppen und vielleicht doch nicht brauchen, da schaut man die Sache dann schon mit anderen Augen an. Auch würde meine Entscheidung sicher auf andere Stative fallen, sollte ich eines für Landschafts-, Tier- oder Makrofotografie suchen. Das tue ich aber nicht, ich suche eines für die Stadt und auch nur zur Nutzung meines Leichtgewichtes Fuji X-Pro2. Da gelten andere Anforderungen wie kurzes Packmaß, schmaler aber sicherer Stand, schneller Auf- u. Abbau und natürlich ein niedriges Gewicht. Als weiteres aber nicht unwesentliches Merkmal möchte ich auch eine gewisse Unauffälligkeit in den Beschreibungstext mit einfließen lassen.
Leider fand ich kein weiteres Stativ mit Klickverschlüssen die eine Höhe von 160cm schaffen. Somit mußte ich einen Kompromiss eingehen und so habe ich mir nun 2 weitere Stative ausgesucht und diese sind heute eingetroffen. Es handelt sich hierbei um das Sirui T-025X/C-10S und das Cullmann 55450 MUNDO 522T
Beide haben „leider“ nur die Drehverschlüsse und sind bei maximal ausgefahrener Mittelsäule ca. 30cm kürzer als das Zomei. Aber bevor ich zum Punkt komme zurück an den Anfang der Geschichte: Was Stative betrifft bin ich in den letzten Jahren von den Markenherstellern doch mehr enttäuscht als zufrieden gestellt worden. All diese schönen Versprechen haben in der Praxis nicht gehalten – und ich bin bekannt dafür wie sehr ich auf mein Equipment achte und fast nur mit Samthandschuhen angreife. Einsackende Stative, schiefe Grundstellung, nicht haltende Kugelköpfe, falsche Herstellerangaben bis hin zu ekelhaften Stinkdingern ist mir alles unter gekommen. Das einzige Stativ das verläßlich seine Arbeit tut – aber auch ein Monstergewicht hat – ist das Manfrotto Triaut 48B.
Ich suche aber zum Glück kein Stativ für die Canon – geschweige denn die Mamiya – sondern „nur“ für meine spiegellose und kompakte Fuji X-Pro2. Das Tragegewicht ist somit minimal und das sollte jedes durchschnittliche Stativ schaffen können. Also zurück zum Test.
Bereits beim Halten der Verpackung war ein deutlicher Gewichtsunterschied festzustellen. Aber das hatte vorerst noch gar nichts zu bedeuten. Ich habe zuerst das Cullmann Stativ ausgepackt und mich mit den Drehverschlüssen vertraut gemacht. In einem Youtubevideo habe ich gesehen, wie ein Fotograf alle 4 Verschlüsse in die Hand nahm und mit einer Bewegung (wie das Gas geben beim Motorrad) alle 4 Glieder gleichzeitig öffnete. Dies habe ich natürlich nachzumachen versucht und es ist mir auch ganz gut gelungen. Die Füße waren gleich ausgezogen und vermeintlich fest gedreht. Ich war ob der Drehverschlüsse echt erleichtert, denn es hat ganz gut geklappt. Jetzt wollte ich das Stativ aufstellen, hatte aber Probleme bei den Arretierungen der einzelnen Gelenke. Der Kugelkopf ist mit einer Wasserwaage ausgestattet und auch die Festzurrschraube hat einen ausklappbaren kleinen Dorn um ein Anschrauben an die Kamera extrem zu erleichtern. Nach ein paar Hantierungen war der Kopf jedoch recht schnell lose. Das könnte bei einem Transport zum Problem werden. Dann habe ich noch die Mittelstange auf maximale Höhe ausgefahren und mal hingestellt, angetippt und die Schwingung beobachtet. Das Stativ steht gut und schwingt so mal nicht.
Danach habe ich das Sirui ausgepackt und gleich mal auf die Waage gelegt. Es bringt 856 Gramm auf die Waage und ist somit leichter als vom Hersteller angegeben. Das Cullmann Stativ habe ich später auf die Waage gelegt und mir 1145 Gramm notiert und liegt somit ebenfalls unter den Angaben seines Herstellers. Der Gewichtsunterschied der beiden Stative ist damit erklärt, dass das Sirui aus Carbon gemacht ist und das Cullmann aus Aluminium besteht.
Die Fakten in Kürze:
Sirui:
Höhe 137,5cm (130 lt. Hersteller), stabil bei 123cm, Gewicht 856 Gramm, Belastbar 6kg, Packmaß 35cm, Umfang 25,5cm
Cullmann:
Höhe 135 cm (136 lt. Hersteller), stabil bei 123cm, Gewicht 1145 Gramm, Belastbar 5kg, Packmaß 32cm, Umfang 28cm
Rollei:
Höhe 143,5cm (142 lt. Hersteller), stabil bei 125cm, Gewicht 993 Gramm, Belastbar 8kg, Packmaß 33,5cm, Umfang 28cm
Die Drehverschlüsse bei Sirui geben ein leises Klick von sich und zeigen somit an, dass sie offen sind, die Elemente lassen sich extrem leicht heraus schieben und die Drehverschlüsse angenehm festdrehen. Die Arretierungen der Gelenke werden nicht wie beim Cullman mit dem Daumen geschoben, sondern einfach nur gedrückt. Das finde ich praktikabler und weniger anfällig gegen Beschädigungen. Das Hinstellen des Sirui Statives ist extrem leise und es steht im Nu. Die Haptik von Carbon kenne ich ja, aber ich war ob der Steifigkeit doch etwas überrascht. Dafür ist der Kugelkopf etwas schmal geraten und auch die Festzurrschraube kann nur mittels einer 2Cent Münze festgedreht werden. Es fehlt auch die Wasserwaage und im zusammengeklappten Zustand ragt immer irgendwas vom Kugelkopf heraus. Auch der Gewichthaken (ein Befestigungshaken mittig des Statives um z.B. bei Sturm ein zusätzliches Gewicht wie z.B. einen Rucksack anhängen zu können) ist beim Sirui nur eine verhungerte Öse wo man einen mitgelieferten kleinen Karabiner anhängen kann. Das Cullmann Stativ weist hier einen vollwertigen herausziehbaren Haken auf.
Die mitgelieferten Stativköcher eignen sich beide sehr gut um die Stative wie einen kleinen Rucksack am Rücken zu tragen. Ob die Schnüre an der Schulter bei längerem Tragen einschneiden muß ich noch herausfinden. Der Köcher vom Cullmann liegt mittig der Wirbelsäule an, der Köcher vom Sirui wird eher seitlich getragen.
Im Moment gewinnen beide Stative – wenn man die Teile untereinander austauschen würde, also Beine mit sehr guten Drehverschlüssen vom Sirui und dafür den Kugelkopf mit höhenverstellbarer Mittelsäule und Befestigungshaken von Cullmann.
Da beide nicht perfekt sind habe ich mir zum Gegentest noch das Rollei Compact Traveler Nr. 1 Carbon bestellt, welches ich aber gleich wieder zurück senden muß, da die Mittelsäule einen Defekt aufweist und sich ein Endglied nicht einwandfrei ausfahren läßt. Aber die Abmessungen habe ich oben noch ergänzt und auch meine ersten Eindrücke kann ich abgeben: Der Kugelkopf ist wertig und hält verläßlich, eine Festzurrschraube ist wie beim Cullmann vorhanden, jedoch kann man die Platte nicht aufstellen, da zwei kleine Dornen wegstehen. Diese dienen als Sicherung und schützen vor einem Herauskippen aus dem Kugelkopf, dafür kann man die Kamera aber nicht z.B auf einen Tisch stellen. Das ist bei Cullmann besser gelöst. Das Stativ hat wie das Cullmann einen herausschiebbaren Haken um ein Gewicht zur Stabilität daran aufzuhängen. Zudem besteht die Möglichkeit aus einem Bein ein Einbeinstativ zu schrauben, was ich für mich aber wahrscheinlich nicht verwenden würde, da man auch immer ein Werkzeug mithaben müßte um eine Schraube unter dem Kugelkopf lösen zu können. Ansonsten greift sich das Rollei sehr gut an, ist aber von der Haptik etwas hinter dem Sirui. Schau ma mal wie die Ersatzlieferung beschaffen ist.
Wow, die Ersatzlieferung ist schon 2 Tage später angekommen, aber was soll das? Es hatte scheinbar schon einen anderen Besitzer.
Nun zu meinem Fazit: Das Rollei ist zwar irgendwie windschief und auch die Beine lassen sich nicht so geschmeidig wie die des Sirui ausfahren, dafür ist der Kugelkopf besser gelöst, dafür die Schnellwechselplatte mit diesen eigenartigen Sicherungsstiften ungeeignet um die Kamera eben auf eine Unterlage zu stellen. Ebenso hat das Rollei einen Mittelsäulenhaken der mir beim Sirui abgeht.
Nachdem ich nun alle 3 Stative nochmals miteinander verglichen und aufgebaut habe, muß ich nun eine Entscheidung fällen:
Das Cullmann hat die kompaktesten Abmessungen und auch die beste Mittelsäule und den besten Kugelkopf. Allerdings ist es das schwerste und niedrigste Stativ und die Beinarretierung macht mir Schwierigkeiten.
Das Sirui schwächelt mit dem Kugelkopf, dafür hat es die beste Beinarretierung und ist das leichteste Stativ im Test.
Das Rollei könnte von der Haptik besser verarbeitet sein, bietet aber hinsichtlich Gewicht, Höhe und Standfestigkeit den besten Kompromiss. Zudem hat es die praktikabelsten Beingelenke und auch einen Tragegurt im Zubehör. Die komisch abstehenden Nieten in der Schnellwechselplatte sind halt echt fürn A…..!
Bis jetzt war der Preis für mich eher zweitrangig, aber nun will auch dieser in den Vergleich mit einfließen:
Sirui: € 241,- (Carbon), Cullmann € 129,- (Alu) Rollei: € 191,- (Carbon)
Die Entscheidung fiel schlußendlich auf das Rollei. Hier stimmt das Preis-/Leistungsverhältnis. Und da es nun in meinen Besitz übergegangen ist, habe ich diese 2 komischen Nieten an der Schnellwechselplatte abmontiert und nun steht auch die Platte am Tisch gerade. Der Gewichtsunterschied zwischen Sirui und Cullmann war merkbar, der zwischen Sirui und Rollei eigentlich nicht, zumindest nicht über der Schulter getragen. Das Sirui ist ein präzises Werkzeug und wenn jemand hauptsächlich Indoor damit fotografiert, dann ist es das beste Stativ. Das Rollei ist hier etwas robuster gebaut und auch durchdachter. Es hat wahlweise Spikes, man kann ein Einbein erstellen, es ist höher obwohl vom Packmaß kürzer. Last but not least kann ich mit dem Kugelkopf besser arbeiten und der mitgelieferte Tragegurt ist jetzt nicht der Porsche unter den Tragegurten, aber da und dort vielleicht mal hilfreich. Zuletzt darf man auch die € 50,- Preisdifferenz nicht vernachlässigen welcher mir die Entscheidung etwas leichter gemacht hat.
Wer also ein Stativ für Städtereisen sucht und mit einer Spiegellosen reist, dem empfehle ich mit gutem Gewissen das Rollei Compact Traveler Nr. 1 Carbon.